Rechts Oder Links: In Der Natur Und Anderswo - gebunden oder broschiert

214 S., mit 227 meist farb. Abb. Kart., Was haben Schrauben und Wendeltreppen, Hopfen, rechtsdrehende Milchsäuren aus einem Joghurt und das Streifenmuster auf der Krawatte eines amerikanischen Nobelpreisträgers gemeinsam? Bevor sich jetzt jemand eine Geschichte ausdenkt von einem älteren Herrn mit Brille, der mit einem in Bier verquirlten Milcherzeugnis in der Hand trotz eines verschraubten Schienbeins die Treppe eines Kirchturms hinaufsteigt, lieber gleich die richtige Lösung: Alle diese Dinge kommen in Henri Brunners Buch Rechs oder links vor, weil sie sich in irgendeiner Form links- oder rechtsherum schrauben, drehen oder winden.

Wem das skurril erscheint, der lasse sich kurz den Hintergrund erläutern: Henri Brunner ist Chemiker, und in diesem Beruf hat man es zwangsläufig irgendwann mit Molekülen zu tun, die wie linke und rechte Hand in zwei spiegelbildlichen Varianten vorkommen, von denen aber häufig die eine anders wirkt als die andere -- wie alle Aminosäuren und Zucker zum Beispiel. Brunner hat sich gefragt, wo dieser Rechts-links-Unterschied, "Händigkeit" genannt, noch überall vorkommt, und hat im Laufe der Jahre eine Sammlung angelegt, die ihresgleichen sucht.

Wo Brunner überall fündig geworden ist, ist erstaunlich: Weinbergschnecken, Einhornhörner, Windmühlen, Blüten, Maibäume, Kakteen, Altarsäulen, Elefantenküsse, Galaxien: Überall Spiralen und "Händigkeit". Wer hätte gewußt, daß auf eine Weinbergschnecke, deren Haus sich linksherum windet, 20.000 kommen, bei es genau andersherum ist? Daß Hopfen sich immer linkshändig um einen Stecken windet, man bei der Drehrichtung des Schweineschwänzchens dagegen keine bevorzugte Zwirbelrichtung ausmachen kann? Brunner zeigt, was der Drehsinn mancher Moleküle mit der Geschichte von der Entstehung des Lebens zu tun hat, warum Tiefdruckgebiete sich in Europa gegen den Uhrzeigersinn drehen und weshalb der Hindu-Gott Vishnu in vielen Darstellungen eine linksgängige Sankha-Muschel in der Hand hält -- um nur wenige Punkte zu nennen; das Buch quillt vor herrlich bebilderten Beispielen zum Thema "links und rechts" förmlich über.

Wem sich nach Studium dieses "abgedrehten" Kuriositätenalbums immer noch nicht der Kopf dreht (links- oder rechtsherum?), der kann sich im weiteren Verlauf des Buchs erklären lassen, wie es zur "Händigkeit" kommt und warum sie -- trauriges Beispiel Contergan -- im Reich der Moleküle lebenswichtig sein kann. Wer möchte, kann sich bei Brunner auch eine kleine Einführung in die Symmetrielehre und ein paar Chemielektionen abholen. Leider ist Brunners Sprache zuweilen selbst ein wenig gewunden und etwas trocken; gelegentlich überfällt er den erschrockenen Laien auch mit Fachbegriffen, die er an dieser Stelle vielleicht besser nicht aus seinem Labor gelassen hätte. Auch wirkt der Fachbuchteil ein wenig "angestrickt" -- schließlich soll man ja auch was lernen. Aber dem Vergnügen am Betrachten dieses wunderbaren Bilderbuchs tut das keinen Abbruch. Rechts oder links ist kräftiges Lesefutter für Wissenschaftsjournalisten, eine Augenweide für Naturwissenschaftler und eine Fundgrube für den interessierten Laien, der einfach wissen möchte, was sich denn da genau im Joghurt dreht. --Stefan Albus