Die Autobiographie / William Carlos Williams / Buch / 528 S. / Deutsch / 1994 / Carl Hanser Verlag GmbH & Co.KG / EAN 9783446178489 - neues Buch

Neben T.S. Eliot, Ezra Pound und Wallace Stevens zählt William Carlos Williams (1883 - 1963) heute zu den bedeutendsten Dichtern der modernen amerikanischen Literatur, dessen umfangreiches Werk nicht nur über 600 Gedichte, sondern auch Shortstorys, Essays, Theaterstücke, mehrere Romane und ein Opernlibretto umfasst. Williams hat nicht nur für die amerikanische Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts entscheidende Impulse gegeben, bis heute haben seine Gedichte mehrere Generationen von Dichtern beeinflusst, zu seinen Bewunderern zählen unter anderen Allan Ginsberg und John Ashbery. Doch auch in Europa ist der unprätentiöse Poet, der Zeit seines Lebens in Rutherford, New Jersey, als Kinderarzt arbeitete, spätestens seit den 60er-Jahren zu einem wichtigen Orientierungspunkt für die Entwicklungen in der neueren Lyrik geworden, und die ersten deutschen Übersetzungen seiner Gedichte von Hans Magnus Enzensberger, die 1962 erschienen, sind inzwischen legendär.

Ende der 80er-Jahre gab Joachim Sartorius eine viel beachtete und -gelobte Sammlung ausgewählter Werke William Carlos Williams' heraus, die nun, mit einigen wichtigen Erweiterungen, in einer wunderbaren Taschenbuchausgabe vorliegt. Wer Williams noch nicht kennt oder ihn wieder lesen will, hat hier Gelegenheit, einem Schriftsteller zu begegnen, dessen Texte auch heute noch erstaunlich frisch und kraftvoll wirken, als sei die Zeit spurlos an ihnen vorüber gegangen. Williams' Sprache ist direkt, ungekünstelt und von einer nie nachlassenden Aufmerksamkeit gegenüber seinen Objekten geprägt. Dies gilt für seine Gedichte ebenso wie für seine Prosatexte. Das Zusammenspiel von konkreter Erfahrung und poetischer Imagination steht immer wieder im Mittelpunkt der dichterischen Wahrnehmung Williams', der den Gedanken einer "demokratischen" Ästhetik von Walt Whitman aufnimmt und weiter entwickelt. Nicht die Erhöhung und Isolation der ästhetischen von der alltäglichen Erfahrung, sondern deren unauflösbare Verbindung und gegenseitige Revitalisierung sind das Energiezentrum seiner dichterischen Sprache.

"Was aus mir wird, ist mir nie wichtig erschienen, aber die Schicksale von Ideen, die in einer unscheinbaren Welt gegen den Strich leben, haben mich immer in Atem gehalten." So schreibt Williams im Vorwort zu seiner Autobiographie, die ein einzigartiges Beispiel einer Biografie darstellt, in dem das Unscheinbare und das Besondere, Alltag und Kunst gleichrangig nebeneinander stehen, denn, so Williams, "auch die banalsten Ereignisse können ein gewisses Gewicht haben". Als einer der Wegbereiter der modernen amerikanischen Literatur kannte Williams viele Künstler der amerikanischen und europäischen Avantgarde bereits persönlich als sie noch nicht berühmt, sondern noch als Spinner verschrien waren. Doch für Williams bedeutete Berühmtheit wenig, und so stehen die Porträts von Ezra Pound, Marcel Duchamps, Gertrude Stein, James Joyce und vielen anderen völlig gleichberechtigt neben denen des unbekannten italienischen Fischverkäufers, der seine Familie 30 Jahre lang belieferte, dem schwarzen Kindermädchen oder den Patienten aus seiner Arztpraxis in Rutherford, New Jersey. Damit bietet das Buch einen unvergleichlichen Einblick in den Alltag der modernen Kunst, fern jeder Mythologisierung, prall gefüllt mit scharfsinnigen Beobachtungen zur amerikanischen Wirklichkeit und Kultur vom ersten Weltkrieg bis in die 50er-Jahre.

Weitere Bände der Werkausgabe beinhalten die Romane, die Gedichte und Williams' Frühe Schriften und Erzählungen. --Peter Schneck