Eckehart, Meister:Deutsche Predigten und Traktate
- Taschenbuch 1979, ISBN: 3257206429
[ED: Taschenbuch], [PU: Diogenes], Zur Zeit der Kirchenspaltung im ausgehenden Mittelalter sehnten sich viele Menschen nach einer direkten Gotteserfahrung. Sie wandten sich der Mystik zu,… Mehr…
[ED: Taschenbuch], [PU: Diogenes], Zur Zeit der Kirchenspaltung im ausgehenden Mittelalter sehnten sich viele Menschen nach einer direkten Gotteserfahrung. Sie wandten sich der Mystik zu, dem Versuch, Gott durch religiöse Versenkung näherzukommen. Zu den bekanntesten Mystikern zählte an der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert Meister Eckehart. In zahlreichen Schriften und Predigten formulierte er immer wieder die Kernsätze seiner Theologie und versuchte den Menschen seine Vorstellung von Gott zu vermitteln: Gott als höchstes, abstraktes Wesen, das dem Menschen liebevoll in seiner Seele begegnet, wenn er sich ganz auf ihn einlässt und von allem Irdischen frei wird. Diese Begegnung mit Gott ist für Eckehart das Beste, was dem Menschen geschehen kann; sie hilft ihm, sein Leben hier auf der Erde mit Gelassenheit zu führen. Eckeharts Theologie war aus kirchlicher Sicht nicht gerade linientreu und ließ ihn schließlich zu einem Opfer der Inquisition werden. Im Lauf der Jahrhunderte aber haben sich zahlreiche Philosophen von Meister Eckehart inspirieren lassen, dessen Lehren übrigens erstaunliche Parallelen zum Buddhismus aufweisen. Auch heute, in einer Zeit, in der Kontemplation für viele Menschen wieder wichtig ist, kommen Eckeharts Schriften dem Bedürfnis nach Lebensweisheit und Innerlichkeit entgegen.
Take-aways
Meister Eckehart war ein Theologe und Philosoph an der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert, ein Hauptvertreter der Mystik.
Im Zentrum seiner Theologie steht die Beziehung zwischen Mensch und Gott.
Diese Beziehung ist das Wichtigste am Glauben, nicht gute Taten oder Rituale.
Gott ist überall zu finden, und er möchte in jedem Menschen sein.
Um Gott zu begegnen, muss der Mensch seine Seele ganz leer werden lassen und alle irdischen Dinge vergessen.
Dadurch wird er im wahrsten Wortsinn „gelassen“.
Wenn ein Mensch so von Gott erfüllt ist, kann er tun, was er will, es wird immer gut sein.
Nicht jeder ist dazu bestimmt, ein Heiliger zu sein; deshalb hat es auch keinen Sinn, danach zu streben. Gott wirkt in jedem Menschen anders.
Wenn man seinen eigenen Willen aufgibt und sich ganz demjenigen Gottes unterwirft, lässt sich alles leichter ertragen, auch das größte Leid.
Gegen Ende seines Lebens musste sich Eckehart in einem Inquisitionsprozess verantworten. Er starb vor dessen Ende, seine Schriften wurden verboten.
Erst im 19. und 20. Jahrhundert wurde Eckehart wiederentdeckt. Schopenhauer, Bloch und Heidegger beriefen sich auf ihn.
In manchen Punkten zeigt Eckeharts Theologie Parallelen zum Buddhismus, den er allerdings nicht kennen konnte.
Zusammenfassung
Die Begegnung mit Gott
Wenn ein Mensch inneren Frieden finden möchte, sollte er versuchen, Gott näherzukommen. Denn nur Gott kann wirklich Frieden schenken, und je mehr ein Mensch in Gott ist, umso mehr Frieden hat er in seiner Seele. Gott ist überall zu finden, und er möchte den Menschen begegnen. Deshalb ist es nicht nötig, sich an bestimmte Orte zu begeben oder bestimmten Ritualen zu folgen. Häufig steht sich der Mensch bei der Suche nach Gott selbst im Weg: Dann nämlich, wenn er mit so vielen Dingen beschäftigt ist, dass er die Stimme Gottes gar nicht mehr hören kann.
„Wo der Mensch in Gehorsam aus seinem Ich herausgeht und sich des Seinen entschlägt, ebenda muss Gott notgedrungen hinwiederum eingehen; denn wenn einer für sich selbst nichts will, für den muss Gott in gleicher Weise wollen wie für sich selbst.“ (S. 53)
Der Ort, wo ein Mensch Gottes Stimme vernimmt, ist die Seele. Weil Gott in der Stille spricht, muss auch die Seele ganz still und leer sein, damit sie Gott wahrnehmen kann. Sie muss von allen anderen Dingen frei werden, d. h. der Mensch muss alles loslassen, was er in seiner Seele mit sich herumträgt, alle Bilder und Eindrücke. Am besten wäre es sogar, wenn er sich selbst vergessen, sich „lassen“ könnte. Erst wenn die Seele von allem frei geworden ist, kann Gott zu ihr sprechen. Dann füllt er unsere leere Seele mit seiner Gegenwart, und wir können ihm ähnlich werden. Wer sich auf diese Weise ganz aufgibt, erlangt Einheit mit Gott – mehr noch, er ist dann selbst Gott, denn er ist mit Gott eins geworden. Um Gott in der Seele zu finden, muss man also sozusagen unwissend werden. Dieses Unwissen hat nichts mit Dummheit zu tun, es geht vielmehr über alles Wissen hinaus. Um Gott zu begegnen, müssen wir vergessen, was wir wissen, und wieder so werden, wie wir ursprünglich waren.
Gott und die irdischen Dinge
Gott muss in unserem Leben an erster Stelle stehen, und alles, was zur Erde gehört, muss ihm untergeordnet sein. Wer sich von den irdischen Dingen distanzieren kann und ihnen weniger Wichtigkeit beimisst, der ist frei geworden, um Gott zu begegnen. Viele Menschen aber verleihen dem Irdischen jenen Rang, der eigentlich Gott zusteht. So verstellen sie sich den Zugang zu ihm. Die Welt und alles, was in ihr ist, wurde von Gott aus dem Nichts geschaffen. Folglich haftet das Nichts noch allen Dingen auf Erden an. Wer also das Geschaffene sucht, der sucht eigentlich das Nichts und braucht sich nicht zu wundern, wenn er auch nur das Nichts findet. Wer in seinem Leben hingegen nur Gott sucht, der wird ihm auch begegnen.
„Darum fang zuerst bei dir selbst an und lass dich!“ (S. 55)
Wenn wir uns nur Gott unterstellen, sind wir frei und dienen niemandem mehr. Wenn wir dagegen irgendetwas anderes über uns herrschen lassen, bedrückt es uns, und wir werden unfrei. Alles, was geschaffen ist, wird uns zur Last, wenn wir es über uns stellen – und alles ist geschaffen außer Gott. Deshalb können wir nur dann frei sein, wenn wir Gott und nur Gott als Herrn anerkennen.
Gottes Geburt in der Seele des Menschen
Die Seele steht zwischen Zeit und Ewigkeit. Sie lebt in der Zeit und der Vergänglichkeit, aber zugleich berührt sie Gott und damit die Ewigkeit. Wenn die Seele Gott berührt, dann vereint sie sich mit ihm und wird ihm ähnlich. Die Beziehung zwischen einem Menschen und Gott, die so entsteht, lässt sich am besten mit einem Spiegel vergleichen. Ein Spiegel gibt immer den Gegenstand wieder, der in ihm sichtbar wird. Das Spiegelbild hat überhaupt nichts Eigenes, es ist nur ein Abbild des Originals und ganz von ihm abhängig. Genauso soll der Mensch sich Gott gegenüber verhalten: nur von ihm her kommen, ihm gleich werden und von ihm abhängig sein. Wenn Gott eine Seele erfüllt, dann trägt sie sein Bild in sich wie ein Spiegel.
„Die Leute brauchten nicht so viel nachzudenken, was sie tun sollten; sie sollten vielmehr bedenken, was sie wären.“ (S. 57)
Maria hat Jesus zur Welt gebracht und damit Gott geboren. Diese Geburt war wichtig – aber noch wichtiger ist es, dass Gott in der Seele eines jeden Menschen zur Welt kommen kann. Das geschieht dann, wenn der Mensch Gott begegnet und seine Stimme hört. Gott möchte mit jedem Menschen Gemeinschaft haben und dessen Seele ganz ausfüllen. Entscheidend ist, dass der Mensch sich dieser Nähe auch bewusst wird. Sonst wäre das wie bei einem König, der von seinem Rang nichts weiß: Dem nützt sein Königtum nichts. Ein wirklicher König kann er erst dann sein, wenn er sich seiner Rolle bewusst ist. Entsprechend ist Gott allen Menschen nahe, aber nur diejenigen, die das wissen, können seine Nähe auch spüren. Alle anderen – darunter insbesondere die schlechten Menschen – können Gott in ihrer Seele nicht wahrnehmen.
„Drum, willst du getröstet werden, so vergiss derer, denen es besser geht, und gedenk’ immerzu derer, die übler daran sind.“ (S. 107)
Um die Geburt Gottes in der Seele zu fühlen und Nutzen davon zu haben, müssen wir uns sammeln. Unsere Kräfte dürfen nicht zu sehr nach außen fließen, auch nicht in religiösen Aktivitäten wie z. B. guten Werken. Stattdessen müssen wir unsere Energie ganz auf Gott konzentrieren. Um seine Stimme zu hören, soll der Mensch sich nicht anstrengen, nicht versuchen, selbst etwas zu tun, sondern Gott einfach wirken lassen. Gott hat vor allem den Wunsch, uns etwas zu geben. Er gibt uns unbegrenzt, und ebenso kann die Seele unbegrenzt seine Gaben empfangen.
„Wisse, wenn immer du irgendwie das Deine suchst, so findest du Gott nimmer, weil du nicht Gott ausschließlich suchst.“ (S. 170 f.)
Über Gott kann man eigentlich nichts aussagen. Wenn wir ihn als gut oder weise bezeichnen, trifft das im Kern nicht zu, denn wenn etwas gut oder weise ist, kann es auch noch besser oder noch weiser werden, und das ist bei Gott nicht der Fall. Gott steht über allem, deshalb ist es am besten, wenn man nicht von ihm spricht, sondern schweigt. Auch ein bestimmtes Bild soll man sich von ihm nicht machen, denn Gott ist das höchste Sein und steht auch über unserer Vorstellung. Wir sollen ihn losgelöst von allen Bildern lieben.
Sein statt tun
Für den Glauben sind nicht in erster Linie bestimmte Rituale oder gute Taten wichtig, sondern die unmittelbare Beziehung zu Gott. Der Mensch kann selbst gar keine guten Werke schaffen: Ob ein Werk gut oder schlecht ist, hängt von seiner Beziehung zu Gott ab. Wenn ein Mensch sich ganz Gott zuwendet und ihn über alles andere stellt, dann ist auch alles gut, was er tut, ohne dass er sich besonders darum bemühen muss. Wenn dagegen die Beziehung zu Gott nicht stimmt, helfen auch alle guten Taten und alle frommen Anstrengungen nicht. Im Gegenteil, für den Glauben ist es eher schädlich, sich zu bemühen und bewusst gute Taten tun zu wollen. Denn der Mensch erfährt Gottes Gegenwart nicht dadurch, dass er etwas tut, sondern dadurch, dass er sich bewusst dieser Gegenwart aussetzt. Dann wird er von Gott und seinem Willen erfüllt. Wenn wir so mit Gott Gemeinschaft haben, können wir einfach tun, was uns richtig erscheint, und müssen nicht noch erst fragen, ob es auch Gottes Wille ist, was wir tun – denn es ist Gottes Wille.
Werke und Gerechtigkeit
Viele Menschen vollbringen gute Werke, weil sie vor Gott etwas erreichen wollen. Auf diese Weise versuchen sie, mit Gott zu handeln, und das ist nicht gut. Wer mit Gott handelt, zeigt nur, dass ihm irdische Dinge noch wichtiger sind als Gott; er gebraucht Gott als Werkzeug, um seine eigenen Ziele zu erreichen. Wenn wir so denken, ist unsere Seele vom Irdischen noch nicht frei geworden, und wir sind Gott nicht wirklich begegnet. Solange wir nur deshalb fromm sind, weil wir durch den Glauben irgendetwas anderes gewinnen wollen – etwa Ehre oder Andacht – und Gott als Mittel zum Zweck einsetzen, können wir ihn nicht finden. Auch gute Werke, die wir aus dieser Motivation heraus vollbringen, sind nichts wert. Erst wenn es uns nur noch darum geht, Gott selbst zu begegnen, und uns nichts mehr wichtig ist außer ihm, können wir ihn finden. Ganz ähnlich verhält es sich bei der Freundschaft und Liebe zwischen Menschen: Solange wir einen Menschen deshalb lieben, weil wir uns davon Vorteile erhoffen, ist es keine echte Liebe. Wir lieben erst dann wirklich, wenn wir den anderen für das lieben, was er ist. So soll auch unsere Liebe zu Gott sein.
„Wenn ich rein nur nach Gott strebte, sodass nichts über mir wäre als Gott, so wäre mir nichts schwer und würde ich nicht so schnell betrübt.“ (S. 209)
Überhaupt ist die innere Einstellung am wichtigsten: Es kommt nicht darauf an, was man tut, sondern darauf, was man will. Es ist nicht schlimm, wenn jemand sündigt; schlimm ist nur, wenn er die Sünde gewollt hat. Wenn jemand gute Taten tun will, aber nicht die Möglichkeit dazu hat, ist das ebenso gut, wie wenn er sie getan hätte.
„Wer das Nichts sucht, dass der das Nichts findet, wem kann er das klagen? Er fand, was er suchte.“ (S. 211)
Wenn jemand bemerkt, dass er nicht in der Lage ist, wie ein Heiliger zu leben, soll er sich keine großen Gedanken machen. Denn darauf kommt es nicht an, sondern allein auf die Beziehung zu Gott, und diese Beziehung kann jeder Mensch haben. Außerdem ist nicht jeder dazu berufen, ein Heiliger zu sein – manche Menschen können so leben, andere nicht. Es gibt viele verschiedene Wege zu Gott. Jeder Mensch soll ihm auf die Weise nachfolgen, die seiner eigenen Art entspricht, und sich nicht den Kopf darüber zerbrechen, was er nicht kann. Umgekehrt müssen wir auch akzeptieren, dass andere Menschen Gott anders dienen als wir selbst. Wir sollten uns nicht mit ihnen vergleichen und nicht neidisch auf das sein, was Gott an anderen Christen wirkt. Gott handelt mit jedem Menschen anders. Am besten ist es, das einfach hinzunehmen.
Armut und Freiheit
Die Bibel fordert uns auf, in Armut zu leben. Wirklich arm ist ein Mensch dann, wenn er gar nichts mehr will, weiß oder hat. Viele Christen meinen, nichts mehr zu wollen würde bedeuten, dass sie ihren eigenen Willen dem Gottes unterordnen müssten. Aber solange sie ihn überhaupt unterordnen wollen, bedeutet das ja gerade, dass sie noch einen eigenen Willen haben. In Wahrheit geht es um viel mehr: Nichts zu wollen bedeutet, dass man seinen eigenen Willen ganz aufgibt und sich damit in den Zustand zurückversetzt, in dem man war, bevor man auf der Erde lebte. Ein wirklich armer Mensch darf auch gar nichts mehr wissen, nicht einmal von Gott selbst – er soll einfach in Gott existieren, weiter nichts. Und schließlich darf er auch nichts besitzen. Damit ist nicht unbedingt materielle Armut gemeint. Vielmehr soll der Mensch in seiner Seele nichts mehr haben, was er Gott bieten kann. Dann ist seine Seele leer, und Gott kommt hinein und wirkt in ihr.
„Wer in der Gerechtigkeit ist, der ist in Gott und ist Gott.“ (S. 268)
Wer in solcher Armut lebt, ist frei von allem, was ihn bedrücken könnte. Er lebt so, wie er vor seiner Geburt bei Gott existiert hat. Diese Existenz ist ewig und kann ihm nicht mehr genommen werden – das ist das ewige Leben im Unterschied zum Leben auf der Erde. Wenn ein Mensch diese Freiheit erreicht hat, wird er eins mit Gott, und Gott kann in ihm wirken: Er gibt ihm die Kraft, allen irdischen Dingen gelassen gegenüberzustehen. Sie sind dann einfach nicht mehr wichtig für ihn.
Leiden und Trost
„Alles das, was in der Gottheit ist, das ist eins, und davon kann man nicht reden.“ (S. 273)
Interpretationsansätze
Meister Eckeharts Vorstellung von Gott ist abstrakt. Er weist alle Bilder von Gott zurück und sieht ihn allgemein als Urgrund allen Seins an. Damit distanziert sich der Autor von der im Christentum üblichen Darstellung Gottes als älteren Mann mit Rauschebart.
Eckehart ist die persönliche Beziehung zwischen Gott und Mensch wichtig, die sich in der Seele des Menschen entwickelt. Verhaltensregeln oder Rituale spielen dabei kaum eine Rolle – auch dies eine klare Absage an die offiziellen Gebräuche der Religionsausübung. Eckehart löst sich von allem äußeren Kult, ja fast sogar von einer bestimmten Religion.
Eckeharts Haltung steht in krassem Gegensatz zur offiziellen Theologie der katholischen Kirche in jener Zeit, die Sakramenten, Ritualen und Verhaltensregeln größte Bedeutung zumaß. , DE, [SC: 3.90], leichte Gebrauchsspuren, privates Angebot, 180x113 mm, 560, [GW: 365g], Banküberweisung, [CT: Religion/Philosophie / Predigten/Homiletik]<