Immer gegen den Strom: Ein jüdisches Überlebensschicksal aus Prag 1939-1950 - Taschenbuch

Vorvort von Jan Wiener Menschen haben die Neigung, die Geschichte ihres Lebens, ihrer Familie und ihrer Nation zu mythologisieren, vielleicht nicht einmal unbedingt zur Selbstverherrlichung, sondern eher, um das Hässliche zu verdrängen und die Vergangenheit erträglicher zu gestalten. Ich habe mich zumindest bemüht, dies zu vermeiden. Oft denke ich zum Beispiel darüber nach, wie sich mein Leben entwickelt hätte, wenn ich als Jude nicht von den Nazis verfolgt worden wäre. Unter der stalinistischen Regierung der Tschechoslowakei hatte ich abermals zu leiden, und zwar nicht nur wegen meiner 'Klassenherkunft', sondern insbesondere wegen meiner Teilnahme am Kampf gegen Hitler-Deutschland in der tschechoslowakischen Einheit der Royal Air Force. Klassen- und Rassendiskriminierung sind sehr ähnlich, weil Menschen für etwas bestraft werden, das sie niemals ändern können, nämlich ihre Herkunft. Gegen das nationalsozialistische Deutschland habe ich aktiv kämpfen können; in der stalinistischen Tschechoslowakei war ich wohl eher ein Opfer, weil ich zur Zwangsarbeit und Emigration gezwungen wurde. So gehöre ich jedenfalls nicht zur großen Masse untätiger Zuschauer, sondern zu jener Minderheit, die auf Unterdrückung und Verfolgung mit Widerstand antworten. Gewiss muss ein jeder seine eigenen Erfahrungen machen, und es ist manchmal schwer, selbst daraus zu lernen. Um so mehr würde ich mich freuen, wenn meine autobiografischen Geschichten davon überzeugen könnten, dass es sich zu kämpfen und zu leben lohnt. Konstanz, 28. April 1992 J.W.