Günter WALLRAFF:Wallraff war da . Ein Lesebuch
- Erstausgabe 1989, ISBN: 3882431164
Taschenbuch
[ED: Softcover], [PU: Steidl Verlag], Eine Durchsicht von Wallraffs Arbeiten aus dreißig Jahren.
Hans Günter Wallraff (* 1. Oktober 1942 in Burscheid) ist ein deutscher investigativer J… Mehr…
[ED: Softcover], [PU: Steidl Verlag], Eine Durchsicht von Wallraffs Arbeiten aus dreißig Jahren.
Hans Günter Wallraff (* 1. Oktober 1942 in Burscheid) ist ein deutscher investigativer Journalist und Schriftsteller. Er ist durch seine Reportagen über diverse Großunternehmen, die Bild-Zeitung und verschiedene Institutionen bekannt geworden, für die er sich stets der Methoden des investigativen Journalismus bediente.
Günter Wallraff wurde als Sohn von Josef Wallraff und seiner Frau Johanna, geb. Pannier, in Burscheid geboren. Sein Vater war erst Arbeiter, später Angestellter bei Ford in Köln. Seine Mutter entstammte einer südfranzösischen Hugenottenfamilie, ihre Eltern waren Klavierbauer. Als er fünf Jahre alt war, erkrankte der Vater schwer, eine Folge seiner Arbeit in der Lackiererei von Ford, die sein Sohn später „Lackhölle“ nannte. Da die Mutter für den Unterhalt der Familie arbeiten gehen musste, kam Günter Wallraff vorübergehend in ein katholisches Waisenhaus. Nach seiner Geburt evangelisch getauft, wurde er nun auf Drängen der Ordensschwestern mit Einwilligung seines todkranken Vaters katholisch. Als er 16 Jahre alt war, starb sein Vater. Zu Gymnasialzeiten schrieb Wallraff einige Gedichte und schickte sie Heinrich Böll, mit dessen Neffen er befreundet war und dessen Nichte er später heiratete. Nach der 10. Klasse verließ er das Gymnasium und begann eine Buchhändlerlehre, die er 1962 abschloss.
1963 stellte Wallraff zwei Monate vor der Einberufung zur Bundeswehr einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung; weil dieser Antrag jedoch zu spät erfolgte, wurde er zum 1. Juli 1963 eingezogen. Er versuchte mit verschiedenen Aktionen, seine vorzeitige Entlassung zu provozieren. Als der Antrag Ende September abgelehnt wurde, legte er umgehend Widerspruch ein. Wallraff (Dienstgrad Schütze) weigerte sich 10 Monate, ein Gewehr in die Hand zu nehmen. Seine Erfahrungen notierte Wallraff und kündigte, unterstützt von Böll, das Veröffentlichen eines Bundeswehrtagebuchs an. Daraufhin bot man ihm Freistellung gegen Veröffentlichungsverzicht an, was Wallraff ablehnte. Der Truppenarzt nahm einen Sturz mit Gehirnerschütterung trotz Genesung zum Vorwand, ihn in die geschlossene neurologisch-psychiatrische Abteilung des Bundeswehrlazaretts Koblenz einzuweisen. Dort wurden „kein krankhafter Befund“ oder „körperliche Beschwerden“ festgestellt, jedoch erklärte man ihn für „verwendungsunfähig auf Dauer“.
Die militärärztliche Diagnose „abnorme Persönlichkeit“ (Tauglichkeitsgrad VI) und „untauglich für Krieg und Frieden“ im vorläufigen Entlassungsbericht wurde mit Wallraffs Veröffentlichungen in der „Zeitschrift für Lyrik“ und seinem Interesse an pazifistischer Literatur begründet. Wegen „Entwicklung individualistischer pazifistischer Überzeugung“ als Soldat sei er „dauernd verwendungsunfähig“ und würde „auch im Verteidigungsfall nur als Versager auftreten“. Dieser Befund des Oberstabsarztes vom 14. Februar 1964, neurologisch-psychiatrische Abteilung des Bundeswehr-Krankenhauses, ist heute im Militärhistorischen Museum in Dresden ausgestellt. Seine Erfahrungen veröffentlichte Wallraff zunächst in der damaligen Jugendzeitschrift Twen (1964) und später in zwei Buchausgaben (1982, 1994). Trotzdem ist Wallraff für eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht bzw. eines sozialen Pflichtjahres in Deutschland, da er bei einer Berufsarmee die Gefahr einer geschlossenen Gesellschaft und in einem Pflichtjahr gesellschaftliche Vorteile sehe.
Zwischen 1963 und 1965 war Wallraff als Arbeiter in diversen Großbetrieben tätig, unter anderem in einer Sinteranlage eines Stahlwerks von Thyssen. Die Gewerkschaftszeitung Metall druckte 1965 erste Reportagen ab, mit denen er erstmals Aufsehen erregte. Im darauf folgenden Jahr veröffentlichte Wallraff einen ersten Sammelband Wir brauchen dich – Als Arbeiter in deutschen Industriebetrieben (Taschenbuchausgabe 1970: Industriereportagen). Die Reportagen lieferten authentische Einblicke in die industrielle Arbeitswelt. Nachdem Wallraff durch seine Industriereportagen bekannt geworden war, schloss er sich 1965 der Dortmunder Gruppe 61 an. Im darauf folgenden Jahr arbeitete er erst für das Hamburger Abendecho, dann für die Zeitschrift pardon, ab 1968 schließlich für die Zeitschrift konkret.
Trotz so genannter Wallraff-Steckbriefe in den Chefetagen der von ihm „besuchten“ Unternehmen, mit denen andere Personalbüros vorgewarnt werden sollten, konnte er seine Recherchen unerkannt fortsetzen, indem er stets eine andere Identität annahm. So erschienen 1969 13 unerwünschte Reportagen, für die er beispielsweise in die Rolle eines Alkoholikers in einer psychiatrischen Klinik, eines Obdachlosen, eines Studenten auf Zimmersuche sowie eines potenziellen Napalmlieferanten für die Streitkräfte der Vereinigten Staaten schlüpfte. Nach der Veröffentlichung des Buches wurde er wegen Amtsanmaßung angeklagt, weil er sich bei verschiedenen Unternehmen am Telefon als „Ministerialrat Kröver von einem Zivilausschuss des Bundesinnenministeriums“ ausgegeben hatte. Das Amtsgericht Frankfurt am Main sprach ihn am 9. Dezember 1969 frei, weil er „mit seiner Berufung auf ein Informations- oder Notwehrrecht einem »Tatbestandsirrtum« unterlegen sei, der den strafbaren Vorsatz ausschließe“.
1971 strahlte das ZDF die von Wallraff geschriebene Fernsehreportage Flucht vor den Heimen aus, in der es um Fürsorgeerziehung ging. In der Folgezeit recherchierte er mehr und mehr zusammen mit anderen Autoren. So erschien 1973 Ihr da oben – wir da unten und wurde sofort ein Bestseller. Während Bernt Engelmann die Ansichten und Lebensgewohnheiten von Industriellen untersuchte, ermittelte Wallraff in entsprechenden Betrieben undercover als Arbeiter, darunter die Melitta-Werke, Fichtel & Sachs und Thurn und Taxis, sowie in der Rolle eines Portiers und Boten im Gerling-Konzern.
1982 wies das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in einem Berufungsverfahren die Klage Wallraffs gegen die Überwachung seines Telefons im März 1974 zurück und bezeichnete die Durchführung als rechtmäßig.
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Ab 1983 arbeitete Wallraff zwei Jahre lang als türkischer Gastarbeiter „Ali Levent Sinirlioğlu“ bei verschiedenen Unternehmen, unter anderem bei McDonald’s und Thyssen. Außerdem nahm er an klinischen Studien im Bereich der Pharmaforschung teil. Seine als äußerst negativ empfundenen Erfahrungen, vom Umgangston gegenüber Gastarbeitern über Steuerspartricks der Firmen bis hin zur Verletzung elementarer Arbeitsschutzregeln, beschrieb er ausführlich in dem Buch Ganz unten, das in Zusammenarbeit mit mehreren Mitautoren entstand. Später gründete er den Hilfsfonds „Ausländersolidarität“. Der Dokumentarfilm Ganz unten erschien 1986. Das Buch Ganz unten wurde in Deutschland bislang über fünf Millionen Mal verkauft und erschien in 38 Übersetzungen. Es ist damit das erfolgreichste deutsche Sachbuch seit dem Jahr 1945.
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Wallraff wurde durch seine Recherchemethoden, bei denen er sich meist mit anderer Identität in das unmittelbare Kernumfeld des Reportage-Ziels einschleuste, international bekannt. So entstanden Dokumentationen, die aufgrund von persönlichem Erleben soziale Missstände anprangerten und versuchten, neue Einblicke in die Funktionsweise der Gesellschaft zu vermitteln.
Die auf diese Weise betroffenen Personen oder Firmen kritisierten, dass Wallraff ihr Persönlichkeitsrecht oder Betriebsgeheimnisse verletzt habe, und versuchten die Veröffentlichung seiner Rechercheergebnisse oftmals juristisch zu unterbinden. Die Gerichte, die darüber zu urteilen hatten, stuften Wallraffs Vorgehen als legal ein und begründeten ihre Urteilsfindung mit der Pressefreiheit sowie dem Interesse der Allgemeinheit an Bereichen, die die öffentliche Meinungsbildung betreffen. Vor dem Landgericht Köln einigte sich Wallraff mit einem Großbäcker auf einen Vergleich, womit er einige negative Äußerungen über diesen zurückzieht oder entschärft.
Für den Recherchestil verwendet man in Schweden den Begriff „wallraffing“, abgeleitet von dem entsprechenden Verb „att wallraffa“, das sogar in die aktuelle Ausgabe der Wortliste der Schwedischen Akademie aufgenommen wurde.
(Quelle: W, DE, [SC: 2.40], leichte Gebrauchsspuren, gewerbliches Angebot, 8° / 180 x 115 x 25 mm, 320, [GW: 300g], [PU: Göttingen], 1. Auflage, Banküberweisung, Internationaler Versand, [CT: Soziologie / Informationsgesellschaft]<