Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung (Hrsg.):Justiz im Nationalsozialismus . Über Verbrechen im Namen des Deutschen Volkes . Katalog zur Ausstellung
- Taschenbuch 2002, ISBN: 9783789081781
[ED: Softcover], [PU: Nomos Verlagsgesellschaft], Dem faschistischen Führerprinzip entsprechend, unterstand auch das Reichsjustizministerium dem alleinigen Führungsanspruch Adolf Hitlers.… Mehr…
[ED: Softcover], [PU: Nomos Verlagsgesellschaft], Dem faschistischen Führerprinzip entsprechend, unterstand auch das Reichsjustizministerium dem alleinigen Führungsanspruch Adolf Hitlers.
Bereits seit 1871 war den deutschen Reichskanzlern die Reichskanzlei mit Sitz in Berlin direkt nachgeordnet. Seit Januar 1933 organisierte und koordinierte dort ihr Leiter Hans Heinrich Lammers die nationalsozialistischen Regierungsgeschäfte.
Nach der Machtergreifung war der Stab des Stellvertreters des Führers in München errichtet worden, der bis 1941 von Rudolf Heß geleitet und nach dessen Flug nach Großbritannien von Martin Bormann unter der Bezeichnung Parteikanzlei fortgeführt wurde. Die Parteikanzlei war das oberste Führungsorgan der NSDAP und in dieser Eigenschaft vor allem für Parteiangelegenheiten zuständig, wie die Besetzung von Parteiämtern, ein detailliertes internes Berichtswesen oder ideologische Schulung und öffentliche Propaganda. Im Erlaß des Führers über die Stellung des Leiters der Partei-Kanzlei war aber auch die „Zusammenarbeit mit den Obersten Reichsbehörden“ vorgesehen. Als sog. Parteiministerium sollte es die Interessen der NSDAP bei Führung der Staatsgeschäfte durch die einzelnen Ministerien wahren. Schließlich war die Führerpartei „die Trägerin des deutschen Staatsgedankens und mit dem Staat unlöslich verbunden“.
Die Parteikanzlei konkurrierte mit der Reichskanzlei um den Einfluss auf die Gesetzgebung.
Die Verordnung zur Durchführung des Erlasses des Führers über die Stellung des Leiters der Partei-Kanzlei vom 16. Januar 1942 sicherte der NSDAP durch den Leiter der Parteikanzlei umfangreiche Mitspracherechte im Vorfeld jeder Art von Gesetzgebung (Gesetze, Erlasse und Verordnungen einschließlich Aus- und Durchführungsbestimmungen) in sämtlichen Ressorts. Die Reichskanzlei, namentlich ihr Leiter Lammers hingegen gab Adolf Hitlers oft nur mündlich und ohne ordentliche Kabinettssitzungen geäußerten politischen Willen in umsetzungsfähiger Form (Befehle, Anordnungen, Erlasse) an die nachgeordneten Ministerien und sonstigen Staatsorgane zur Ausführung weiter.
Schwerpunkt der NS-Rechtspolitik waren das Strafrecht und Fragen des Strafvollzugs.
Das Reichsjustizministerium fungierte dabei weiter als „Gesetzgebungsministerium“. So nahmen etwa der damalige Justizminister Franz Gürtner, sein späterer Nachfolger Otto Georg Thierack sowie der damalige Staatssekretär im Reichsjustizministerium Roland Freisler an der Kommission zur Reform des Strafprozessrechts im Jahr 1938 teil. Franz Gürtner veröffentlichte anschließend eine Denkschrift über das Beratungsergebnis unter dem Titel Das kommende deutsche Strafverfahren. Bericht der amtlichen Strafprozeßkommission.
Im Reichsjustizministerium gab es allein 3 Abteilungen, die mit „Strafrecht (Gesetzgebung)“, „Strafrechtspflege und Strafvollstreckung“ und dem „Strafvollzug“ befasst waren. Hinzu kam die Geheime Sonderabteilung XV, die für die Umsetzung der am 18. September 1942 zwischen dem damaligen Reichsjustizminister Otto Thierack und dem Reichsführer SS Heinrich Himmler vereinbarten Maßnahmen zur „polizeilichen Sonderbehandlung bei nicht genügenden Justizurteilen“ sowie die „Auslieferung asozialer Elemente aus dem Strafvollzug an den Reichsführer SS zur Vernichtung durch Arbeit“ zuständig war.
Langfristig sollten sowohl die Funktion der Rechtspflege und die Gerichtsorganisation ganz allgemein sowie das Verhältnis von Justiz und vollziehender Gewalt (Polizei und Staatsanwaltschaften) im nationalsozialistischen Sinne reformiert werden. Diese Neuordnung wäre auf eine Schwächung der Justiz bei der Strafverfolgung und -vollstreckung zugunsten eines dominanten Polizeiapparates hinausgelaufen, wurde jedoch kriegsbedingt nicht wie geplant verwirklicht.
Bereits kurz nach der Machtergreifung erging am 28. Februar 1933 unter Mitwirkung des damaligen Justizministers Franz Gürtner die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat (sog. Reichstagsbrandverordnung). Zur „Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte“ wurden damit alle wesentlichen Bürgerrechte der Weimarer Verfassung „bis auf weiteres außer Kraft gesetzt“. Dies ermöglichte unter anderem staatliche Terrormaßnahmen wie die Verhängung von Schutzhaft, die bis 1945 mindestens 500.000 Todesopfer forderte.
Zum 1. Januar 1934 trat das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses in Kraft, das ebenfalls unter Mitwirkung des damaligen Justizministers Franz Gürtner zustande gekommen war und nach dem bis 1945 schätzungsweise 400.000 Menschen auf Anordnung der den Amtsgerichten angegliederten Erbgesundheitsgerichte unfruchtbar gemacht wurden. Es mündete in die systematische Ermordung geistig und körperlich behinderter Menschen sowie von Patienten psychiatrischer „Heil- und Pflegeanstalten“ (sog. Aktion T4) mit ca. 75.000 Toten.
Auch das Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre als Teil der sog. Nürnberger Rassegesetze von 15. September 1935 wurde von Justizminister Franz Gürtner mit unterzeichnet. Im Einvernehmen mit dem Reichsinnenministerium erließ das Justizministerium in der Folgezeit die zur Durchführung dieses Gesetzes erforderlichen Durchführungsbestimmungen, so etwa die Erste Verordnung zur Ausführung des Gesetzes zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 14. November 1935, die die gesetzlich bestimmten Ehe- und Beschäftigungsverbote für Juden konkretisierte. Am 5. Januar 1938 folgte das Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen, ergänzt am 17. August 1938 durch die Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen, mit der Juden unter Androhung von Gefängnis gezwungen wurden, den zusätzlichen männlichen Vornamen „Israel“ bzw. den zusätzlichen weiblichen Vornamen „Sara“ zu führen.
Gegenstand des Nürnberger Juristenprozesses vor dem amerikanischen Militärgerichtshof im Jahr 1947 waren jedoch nur jene NS-Gesetze und Strafurteile, die im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg als verbrecherischem Angriffskrieg standen. Das ab 1939 „drakonische, korrupte und verderbte nationalsozialistische Rechtssystem“ einschließlich Verwaltung und Rechtsprechung wurde als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. (...)
Dem totalitären Charakter des Nationalsozialismus entsprechend, sollte „auch auf dem Gebiet des Rechts die Partei und ihre Idee den Staat lenken, denn der Staat ist auch im Recht nur Mittel des Führers zur Verwirklichung des Nationalsozialismus“. Auch die Justiz wurde daher ab 1933 systematisch von der nationalsozialistischen Ideologie vereinnahmt und für ihre Zwecke instrumentalisiert. Durch gezielte Einflussnahme auf die Besetzung von Richterämtern, Rundverfügungen zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung sowie Weisungen an die dem Ministerium unterstellten Staatsanwaltschaften und Richter erzeugte das Reichsjustizministerium den gewünschten Anpassungsdruck. Die seit seiner Amtsübernahme im Jahr 1942 von Otto Georg Thierack herausgegebenen Richterbriefe markieren dabei den Höhepunkt ministerieller Einflussnahme sowie das Ende der persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit der Richter.
Die bereits in der Weimarer Republik vorübergehend zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen geschaffenen Sondergerichte wurden ab 1933 fester Bestandteil der NS-Strafjustiz.
Die Sondergerichte waren zunächst noch Gerichte der Länder. Nach der „Verreichlichung“ der Justiz erließ das Reichsjustizministerium dann am 17. Dezember 1935 einheitliche Vorschriften für alle Sondergerichte im Deutschen Reich.
Aufgabe der Sondergerichte war nach dem Reichstagsbrand im Februar 1933 die „Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ sowie die Abwehr „heimtückischer Angriffe staatsfeindlicher Elemente auf Staat und Partei“. Sie dienten damit zunächst – ähnlich wie die Schutzhaft – der Ausschaltung der politischen Opposition, die die Etablierung des NS-Regimes – tatsächlich oder vermeintlich – hätte gefährden können.
Die Zuständigkeit der Sondergerichte wurde nach und nach ausgeweitet. Sie waren nicht mehr nur in den gesetzlich bestimmten Fällen zuständig, sondern auch, wenn die Staatsanwaltschaft der Auffassung war, „daß die sofortige Aburteilung durch das Sondergericht mit Rücksicht auf die Schwere oder die Verwerflichkeit der Tat, wegen der in der Öffentlichkeit hervorgerufenen Erregung oder wegen ernster Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit geboten“ erschien (§ 14 der Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sondergerichte und sonstige strafverfahrensrechtlichen Vorschriften vom 21. Februar 1940). Dazu zählten beispielsweise Verstöße gegen das sog. Blutschutzgesetz vom 15. September 1935 wie der bekannte Fall des jüdischen Geschäftsmanns Leo Katzenberger, der im März 1942 nach einer angeblichen Affäre mit einer nicht-jüdischen Frau von dem Sondergericht Nürnberg wegen Rassenschande zum Tode verurteilt wurde. Vor den Sondergerichten wurden außerdem auch Schnellverfahren bei solchen Straftaten abgehalten, die nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung in den Zuständigkeitsbereich der ordentlichen Amts- oder Landgerichte gehört hätten.
Die Sondergerichte breiteten sich zusehends aus. Gab es sie zunächst nur in jedem OLG-Bezirk, so wurden sie ab März 1940 in jedem LG-Bezirk gebildet. Den jeweiligen Sitz und Bezirk bestimmte der Reichsjustizminister (§ 10 der Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sondergerichte und sonstige strafverfahrensrechtlichen Vorschriften vom 21. Februar 1940).
Mit Kriegsbeginn 1939 setzte eine Radikalisierung von Gesetzgebung und Rechtsprechung ein. Die Propaganda gab den Sondergerichten martialische Beinamen: Sie hießen „Kriegsgerichte der inneren Front“ oder „Panzertruppe der Rechtspflege“; die Staatsanwaltschaft war in dieser waffenklirrenden Metaphorik die „Kavallerie der Rechtspflege“. Wie die Panzertruppe und wie Zieten aus dem Busch hineinfahren unter die Feinde im Inneren des Reiches: Das war die Aufgabe der Sondergerichte und der ihnen zugeordneten Abteilungen der Staatsanwaltschaft.
Die Sondergerichte dienten ab 1939 insbesondere der Aufrechterhaltung der „Heimatfront“, die nicht noch einmal – wie nach der Dolchstoßlegende im Ersten Weltkrieg – der „im Felde unbesiegten“ Heeresmacht in den Rücken fallen sollte. Dafür wurde ein spezielles Kriegsstrafrecht geschaffen, insbesondere die Verordnung gegen Volksschädlinge vom 5. September 1939. Diese galt auch im Protektorat Böhmen und Mähren sowie für Personen, die nicht deutsche Staatsangehörige waren. Bestraft wurde jeder, der nach Auffassung der Richter über das gesunde Volksempfinden dem Tätertypus des Volksschädlings entsprach.
Auch Verfahren nach der sog. Polenstrafrechtsverordnung vom 4. Dezember 1941 fanden in der Regel von den Sondergerichten statt, beispielsweise gegen den 17-jährigen Walerjan Wrobel, der von dem Sondergericht Bremen am 8. Juli 1942 wegen (versuchter) Brandstiftung in einer Scheune ohne nennenswerten Schaden zum Tode verurteilt wurde. Das Reichsjustizministerium lehnte sein Gnadengesuch am 15. August 1942 ab.
Durch Rundverfügung wies das Reichsjustizministerium die Sondergerichte an, bei der Urteilsfindung regelmäßig die „Ausnutzung des Kriegszustands“ als Strafschärfungsgrund anzunehmen und damit unter Überschreitung des regelmäßigen Strafrahmens auch bei geringfügigen Taten nicht Haft-, sondern die Todesstrafe zu verhängen.
Das Reichsjustizministerium beeinflusste die Tätigkeit der Sondergerichte nicht nur durch Ausfertigung vieler dort angewandter Gesetze oder den Erlass von Durchführungsbestimmungen, sondern auch durch die Ernennung und Beförderung der an den Sondergerichten eingesetzten, besonders linientreuen Richter und Staatsanwälte sowie Lenkung der Rechtsanwendung im Einzelfall mittels Rundverfügungen und Weisungen.
Im Nürnberger Juristenprozess wurden 1947 die beiden Vorsitzenden des Sondergerichts Nürnberg Oswald Rothaug, der unter anderen Leo Katzenberger verurteilt hatte und Rudolf Oeschey wegen ihrer Todesurteile und der Ablehnung von Gnadengesuchen nach unter Folter erzwungenen Geständnissen für die „Preisgabe des Rechtssystems zur Erreichung verbrecherischer Ziele“ zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Vorsitzende des Stuttgarter Sondergerichts Hermann Cuhorst wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Die Akten über die ihm zur Last gelegten Taten waren im Krieg verbrannt.
(...)
Reichsjustizminister Otto Georg Thierack konspirierte aktiv mit dem Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei Heinrich Himmler bei Abgabe der Strafverfolgung über bestimmte Personengruppen von der Justiz an die Polizei. Zielsetzung war, diese bestimmten Personengruppen ohne weiteres zu verhaften und zu ermorden.
Mit Erlaß des Führers über besondere Vollmachten des Reichsministers der Justiz vom 20. August 1942 war Thierack ermächtigt worden, „eine nationalsozialistische Rechtspflege“ aufzubauen und – auch abweichend von bestehendem Recht – „alle dafür erforderlichen Maßnahmen“ zu treffen.
Am 18. September 1942 besprachen Thierack und Himmler daraufhin folgende Kompetenzverteilung:
Nach Entscheidung durch den Justizminister und „ohne des Führers Zeit mit diesen Dingen überhaupt noch zu beschweren“ sollten „nicht genügende Justizurteile“ durch „polizeiliche Sonderbehandlung korrigiert“ werden. Dazu wollte die Justiz „asoziale Elemente“ aus dem Strafvollzug an den Reichsführer SS zur Vernichtung durch Arbeit ausliefern. Betroffen waren von dieser Absprache alle in Sicherungsverwahrung befindlichen Personen, Juden, Zigeuner, Russen und Ukrainer, außerdem Polen über 3 Jahre Strafe sowie Tschechen und Deutsche über 8 Jahre Strafe. Mit den „übelsten asozialen Elementen“ wollte man beginnen.
Thierack schienen außerdem „die Tatumstände, die zur Abstempelung eines Menschen als asozial dienten, nicht klar genug im Gesetz dargelegt.“ Er meldete insofern „Ansprüche der Justiz an“, d. h., das Reichsjustizministerium wollte insbesondere auf das damals federführend vom Reichsministerium des Innern geplante Gemeinschaftsfremdengesetz mehr Einfluss erlangen.
Schließlich bestand zwischen Thierack und Himmler „Übereinstimmung darüber, daß in Rücksicht auf die von der Staatsführung für die Bereinigung der Ostfragen beabsichtigten Ziele in Zukunft Juden, Polen, Zigeuner, Russen und Ukrainer nicht mehr von den ordentlichen Strafgerichten abgeurteilt, sondern durch den Reichsführer SS ‚erledigt‘ werden.“ Diesen Personen sollte bei Straffälligkeit also überhaupt kein justizförm, DE, [SC: 2.40], deutliche Gebrauchsspuren, gewerbliches Angebot, quer 8° / 219 x 238 mm, 124, [GW: 460g], [PU: Baden-Baden], Sonderdruck für die NLpB, Banküberweisung, Internationaler Versand, [CT: Geschichte/Politik / Nationalsozialismus]<