Thomas Mann Edo Reents - gebunden oder broschiert

8°, 183 S., OPpbd. mit ill. Umschlag. - (München): Claassen (2001)., "Mit seinem Roman Der Zauberberg hat Thomas Mann sich den Spaß erlaubt, einen Discjockey zu porträtieren. Hätte es damals diesen Beruf schon gegeben, er wäre womöglich selber einer geworden." -- Hoppla! Nach Sätzen wie diesen fällt die Ehrfurchtsstarre schlagartig ab! Geradezu unverschämt poppig und unehrerbietig nähert sich Edo Reents, ausgewiesener Mann-Fachmann und Feuilletonredakteur der FAZ, dem selbst ernannten Dichterfürsten in der Nachfolge Goethes!

Nach lediglich 175 Seiten halten wir die Nahaufnahme eines Menschen in Händen, der, wie Alfred Döblin noch höhnisch bemerkte, die "Bügelfalte zum Stilprinzip" erhob, im tiefsten Innern jedoch, ambivalent und haltlos, an sich und der Welt verzweifelte. Thomas Mann, die Kunstfigur, die ihr Leben in einem ungeheuren literarischen Kunstgebäude stets aufs Neue zu verschlüsseln wusste, wird aller Ikonenhaftigkeit entkleidet und erscheint plötzlich sehr menschlich.

Reents nimmt wenige Schlüsselthemen im Leben des Schriftstellers unter die Lupe. Vom tief gestörten Verhältnis zum Bruder Heinrich ist die Rede, dessen "zügellose" Lebensweise ihn anwiderte -- und die er doch so beunruhigend anziehend fand. (Bereits in den Buddenbrooks wurde das Thema Bruderhass ausgiebig behandelt.) Seine erotischen Neigungen, die Mann zeitlebens beschwerten, findet Reents schon in dessen erster Novelle Der kleine Herr Friedemann präformiert. Mit dem verkrüppelten Junggesellen, der sich in eine Frau verliebt, die ihn schließlich so demütigt, dass er sich in einer Pfütze ertränkt, hatte Mann sein Thema ein für allemal definiert.

Ein außergewöhnliches, liebevoll-sarkastisches Porträt, das nunmehr vierte in der neuen Claassen-Reihe Biographische Passionen, in der bereits Bücher über Nietzsche, Proust und Mozart erschienen. Neues zu sagen, schien ihm kaum noch möglich, behauptet Reents im Vorwort. Er irrt. Seine irrlichternden Betrachtungen, einmal nicht aus der kratzfüßigen Froschperspektive der Heldenverehrung, bringen einiges Erhellende zutage und siehe da -- so wird ein großer Mann zum Menschen. --Ravi Unger