Schwaiger, Brigitte:Wie kommt das Salz ins Meer. Roman
- Taschenbuch 1979, ISBN: 3499143240
[ED: Taschenbuch], [PU: Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1979], sehr guter Zustand; Standort: Regal; geringfügige Lagerungsspuren; absolut saubers Exemplar; Nichtraucherhau… Mehr…
[ED: Taschenbuch], [PU: Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1979], sehr guter Zustand; Standort: Regal; geringfügige Lagerungsspuren; absolut saubers Exemplar; Nichtraucherhaushalt
Inhalt: Aus einem provinziellen, biederen Elternhaus flüchtet sich die Ich-Erzählerin in eine nicht weniger provinzielle bürgerliche Ehe. Das enge Korsett ihrer Rolle als Ehefrau, die ständigen Maßregelungen ihres Mannes treiben sie Schritt für Schritt in Verzweiflung und Depression. Als Brigitte Schwaigers Debütroman im Jahr 1977 erschien, avancierte die damals 28-Jährige über Nacht zum literarischen Star. Ihr Buch, eines der meistverkauften Werke der deutschsprachigen Literatur, hat auch über 30 Jahre später nichts von seiner Aktualität verloren: ein literarisches Meisterstück, das mit viel Galgenhumor und Witz und ohne erhobenen Zeigefinger vom Versuch eines Ausbruchs aus den bürgerlichen Verhältnissen erzählt. (Verlagsmitteilung Haymon Verlag, Innsbruck)
Leseprobe: „Mein Mann wirft Wörter aus, und sie fallen dorthin, wo er sie haben will. Meine Wörter haben kein Gewicht. Sie schweben sichtbehindernd im Raum. Ich kann sie alle wieder einfangen. Hörst du zu, wenn ich mit dir rede? fragt Rolf. Ja. Woran denkst du? An das, was du sagst. Was habe ich gesagt? Daß ich dir heute abend keine Schande machen soll. Und? Daß ich nett sein soll mit Albert und Hilde. Und? Und gesprächig. Weiter? Daß ich den Armreifen nicht trage, den du mir geschenkt hast, und daß du bereust, mir den silbernen Bleistifthalter deines Großvaters geschenkt zu haben, weil ich ihn verschlampt oder verloren habe. Komm, sagt Rolf, laß dich küssen. Er streichelt und lobt mich, sei nicht so steif, küß mich richtig, knöpfe deine Bluse auf, sieh mir in die Augen. Man sieht rundherum das Weiße, ich habe aber diese Augen einmal geliebt, und ich bewahre ein Foto auf, da sitzt Rolf in einem Fauteuil im Wohnzimmer meiner Eltern, er lacht, seitlich, seine Nase habe ich so gemocht, sein verrutschtes Hemd, seine Manschetten habe ich gemocht. Ein richtiger Mann, dachte ich, und wenn ich im Zweifel war, ob ich ihn noch liebte, suchte ich das Foto heraus und wußte: Ja, den liebe ich. Küß mich! Früher hat er das nicht so grob gesagt, da tat ich es wahrscheinlich freiwillig. Ich stelle mir vor, wir spielen eine Filmszene. Das half immer. Wenn ich etwas angestellt hatte und vor den Eltern Rechenschaft und Reue ablegen mußte, dachte ich, daß ich ein Kinderstar bin, der seine Rolle spielt. Ton ab, Bild ab, siebenundzwanzigste Einstellung: Frau küßt Mann. Er knöpft sein bügelfreies und silanisiertes Hemd auf, wirft es auf den Boden, benimmt sich plötzlich wie ein Junggeselle, und ich denke nur daran, daß ich es waschen muß. Aber jetzt ist ihm das Hemd nicht wichtig, und die Haut zwischen meinen Schenkeln ist empfindlich. Was er tut, ist Leichenschändung. Ich denke noch immer, daß ich das Hemd dann wieder waschen und bügeln muß.
Später zieht er seine Armbanduhr auf. Das ist eine seiner Gewohnheiten, an der Schraube zu drehen, sein Daumen ist breit, er hält die Uhr gegen das Ohr, hört sich an, wie Zeit, Zeit, Zeit vertickt. Ein Tag hat vierundzwanzig, eine Stunde sechzig, mal sechzig, mal sechzig, sechsundachtzigtausendvierhundert Sekunden verticken jeden Tag. Wie viele Tage sind wir schon verheiratet? Er fürchtet sich nicht, daß uns etwas weglaufen könnte.
Was sollte ich fürchten?
Denkst du nicht manchmal, daß du blind werden könntest auf einem Auge und dann denken wirst: Wieviel ließ es mich sehen!
Man sieht noch so halbwegs mit einem Auge.
Oder, daß du sterben wirst?
Das muß jeder.
Woran denkst du, wenn du an deinen Tod denkst?
An meine Lebensversicherung. Das willst du doch hören, oder? Du willst doch immer nur bestätigt haben, daß ich der Trottel bin, für den du mich hältst?
Als Karl noch Geschichten schrieb, las ich in einer: Und dieser Kuß schmeckte nur noch nach Fleisch. Es gab eine Zeit, da schmeckten Rolfs und meine Küsse nicht nach Fleisch. Wir fragten uns, ob man sich einen Kuß nähme, indem man ihn küßte. Ob jeder Mensch eine unbegrenzte oder eine begrenzte Anzahl von Küssen habe. Wir besprachen das, während wir uns küßten. Als ich noch seine Knöpfe aufknöpfte und er meine. Als ich ihn noch unterbrechen durfte beim Küssen, ohne daß er gefragt hätte: Was ist? Warum bist du so steif? Deine Theorie von den endlichen Küssen ist richtig, sagte er einmal. Denn wenn man immer nur küßte, würde man ja verhungern. Und wir küßten uns dafür sehr lange.
Es geschieht etwas, während wir essen, es pulst etwas in mir, ein Ton klingt, und Rolf legt die Gräten an den Rand seines Tellers, Hilde erklärt uns antiautoritäre Erziehung, Albert schweigt, und für ihn ist ein Kuß in meinem Mund. Hilde sagt, es kümmerte sie wenig, daß die Lehrerin die schlechte Schulschrift ihres Sohnes beanstande. Sie würde früher oder später ihrem Sohn eine Schreibmaschine kaufen. Albert hebt sein Glas und schaut mich an, aber er trinkt nicht. Hilde stößt ihn in die Seite: er soll auch etwas sa-gen. Albert gibt ihr recht.
Hilde will, daß Rolf zugibt, daß das, was er soeben über antiautoritäre Erziehung gesagt hat, falsch ist. Rolf sagt, an seinem Hund habe er festgestellt, daß die autoritäre Erziehung und so fort, bis Hilde beleidigt ist. Sie lehnt solche Vergleiche ab. Albert fragte nach meinem Sternzeichen. Meine Kinder sind schwierig, sagt Hilde. Sie meint: Ihr habt keine Kinder, also laßt euch lieber von einer erzählen, die etwas davon versteht. Ich frage Albert nach seinem Sternzeichen. Hilfe fragt, warum wir keine Kinder haben. Rolf antwortet elegant. Ich lächle zu Albert, daß ich keine Kinder haben will von Rolf. Er lächelt zurück, daß er in diesem Augenblick auch lieber keine Kinder hätte von Hilde. Rolf und Hilde geraten sich in die Haare, aber ohne ihre Frisuren zu zerstören. Es ist ein Streitgespräch pro forma. Wenn eine Frau beweisen will, daß sie nicht blöd ist, dann gibt man ihr die Chance, unter der Voraussetzung, daß es nicht die ist, mit der man verheiratet lebt. Hilde verlangt von Albert, daß er zugibt, was sie soeben unterstrichen hat. Albert gibt alles zu. Hilde sagt, nun habe er es endlich einmal zugegeben. Ich denke, daß ich mir bisher viel zu wenig Gedanken über Sternzeichen gemacht habe. Vielleicht ist etwas dran. Wir nicken alle, als Hilde erklärt, daß Kinder erst die Frau zur Frau machen. Rolf macht eine kleine Einschränkung, aber er läßt Hilde siegen. Hilde als Gast ist Königin. Ein gelungener Abend. Ich habe Rolf keine Schande gemacht. Als Hilde und Albert fort sind, hilft er mir beim Tischabräumen und verteilt Plus- und Minuspunkte. Plus: Ich war hübsch. Minus: Ein bißchen zu still. Plus: Du hast Hilde ausreden lassen. Minus: Mit Albert hast du aber gar nicht gesprochen. Minus: Hilde kleidet sich besser als du. Minus: Warum haben wir keine Kinder? Rolf ist beschwipst, er will mich lieben, das Essen war auch so schwer, das ist keine Kritik, das ist ein Motiv, und er irrt sich fast nie, aber hier irrt er immer, er sagt: Schon lange war es nicht so schön mit dir. Dabei war ich gar nicht zu Hause.
Wohin gehst du? Spazieren? Bei diesem Wetter? Ja, ich weiß, daß du den Regen liebst, aber das ist noch kein Grund, sich eine Erkältung zu holen. Ja, ich weiß, daß du einen Schirm nimmst, aber willst du mir nicht sagen, warum du unbedingt spazierengehen mußt, solange es schüttet? Laß wenigstens den Hund da! Rolf hat recht. Blitz hat keinen Schirm. Auch verbreitet unser Hund einen zu starken Geruch nach Hund, wenn er durchnäßt unter der Zentralheizung liegt. Ich werde also Blitz zu Hause lassen. Aber der sitzt schon im Vorzimmer, weil ich mit dem Schlüssel das Geräusch gemacht habe, das er kennt. Er wartet schon. Auch er ist ein Regenfreund. Warte, sagt Rolf, wenn es trocken ist, gehen wir gemeinsam spazieren. Blitz und ich warten im Vorzimmer. Rolf zieht sich an, der Regen hat aufgehört, im Dunst hängen die Lichter auf der Promenade, wir treffen Albert und Hilde, was für ein Zufall, daß Hilde Albert begleitet, wo sie doch so schwierige Kinder hat. Hilde sagt, Albert habe plötzlich die verrückte Idee gehabt, im Regen spazierenzugehen. Blitz langweilt sich bei solchen Gesprächen, läuft voraus, springt an den Kastanienbäumen hoch, um sich für verbotene Katzenjagden in Form zu halten, und wir vier gehen langsam mit zwei großen Regenschirmen über die Promenade. Blitz wartet mit mir, es dauert so lang, gut Ding braucht Weile, hat Großmutter schon immer gewußt, sie würde es auch jetzt sagen, wenn ich ihr erzählen könnte, was ich will, mein erster Wille seit vielen Monaten. Ich behalte es für mich, nur Blitz darf es ins Ohr geflüstert bekommen, er seufzt verständnisvoll und ist verschwiegen.
Wenn ich nachts aus dem Ehebett desertiere, leise, um Rolf nicht zu wecken, kommt Blitz leise, um Rolf nicht zu wecken, aus dem Gästeklo herübergetrottet. Er beschützt mich auf den Wanderungen durch die dunklen Zimmer. Wir tasten uns durch die Küche zum Küchenbalkon. Betonmauern. Man kann die anderen Frauen nicht sehen, die vielleicht auch jetzt auf ihren Balkonen stehen und springen möchten oder fliegen, und wenn ich zu lange am Gitter stehe, legt der Hund sich neben meine Füße, und wenn ich mich zurücktaste, trottet er um seine Ecke zurück zur Autodecke. Er grollt nicht und macht kein Gejaule aus seiner Einsamkeit. Ich bette mein Gesicht in das gute Fell und frage ihn, wie er das aushält. Blitz seufzt. Ich warte ja. Von Tieren lernt man viel.“ (S. 58ff.)
Brigitte Schwaiger (1949 - 2010) stammt aus Freistadt/Oberösterreich. Sie hatte 1977 mit ihrem Debütroman "Wie kommt das Salz ins Meer" bei Publikum wie Kritik großen Erfolg. Der Roman zählt zu den meistverkauften Werken des deutschsprachigen Raumes und wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Mehrere Veröffentlichungen, zuletzt "Fallen lassen". - cf.: https://de.wikipedia.org/wiki/Brigitte_Schwaiger
Birgit Lahann (*1940) berichtete von einem Treffen mit der Autorin u.a.: (ZITAT) Als geklärt ist, dass ich natürlich nur über sie schreiben werde, erzählt sie in ihrem weichen Wiener Singsang fünf Zigaretten lang von ihrem erwachsenen Sohn, der mit neun zu ihr kam und sagte: Mama, ich hab einen Ödipuskomplex. Erzählt von dem östereichischen Kritiker Günter Nenning, der einmal geschrieben hat, dass die Schwaiger nach ihrem Bestseller „Wie kommt das Salz ins Meer“ in ein 15-Jahre-leeres Loch fiel. Da hat sie ihm ein Paket mit all ihren anderen Romanen geschickt - „Der Himmel ist süß“, „Die Galizierin“, „Ich suchte das Leben und fand nur dich“ - und dazu geschrieben: Das ist das Loch!
Erzählt, dass ihr Nazi-Vater sein Leben lang Angst gehabt hat vor dem Nazi-Jäger Simon Wiesenthal. Erzählt, dass sie 1977 einen ganz anderen Titel für ihr „Salz“ haben wollte, nämlich „Situation in Prosa“. Wie schrecklich, sage ich. Da lacht sie zum ersten Mal und sagt: „Mein Verleger hat auch die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen.“...
Bis heute habe sie den Schock, über Nacht berühmt geworden zu sein, nicht verwunden. Ich war doch so jung und so verträumt, sagt sie, ich dachte, ich könnte nun mit anderen Autoren von Kollege zu Kollege reden. Aber ich war mit dem „Salz“ einfach zu weit gesprungen. Wie Elfriede Jelinek mit dem Nobelpreis, sagt sie. Wir sind Ausgeschlossene. Sie und ich... Und sie würde doch so gerne wieder selbst verdienen. Sie lebt seit Jahren von der Sozialhilfe, von 600 Euro im Monat... Danach stirbt das Gespräch. Und die Fotografin sieht dauernd das Bild vor sich, das sie nicht machen darf. Es ist Zeit zu gehen. (ZITAT ENDE) ("Heillose Traurigkeit", Süddeutsche Zeitung, 01.11.2008 / 17.05.2010.) - cf.: www.sueddeutsche.de/kultur/portraet-brigitte-schwaiger-heillose-traurigkeit-1.536241
Reihe: rororo Bd. Nr. 4324
Lizenz: Paul Zsolnay, Berlin Hamburg 1977, DE, [SC: 2.45], leichte Gebrauchsspuren, privates Angebot, 121 S., [GW: 100g], 4. Aufl. (161.-205. Tsd.), Banküberweisung, Internationaler Versand, [CT: Romane/Erzählungen / Frauen]<