Das Jahr der Maus : internationale Science-fiction-Erzählungen. hrsg. von Wolfgang Jeschke. [Übers.: aus dem Amerikan. und Engl. von Isabella Bruckmaier ... Aus dem Tschech. von Karl v. Wetzky] / Heyne-Bücher / 6 / Heyne-Science-fiction & Fantasy ; Bd. 6320 : Science-fiction - gebrauchtes Buch

Anthologien aus dem Heyne-Verlag, herausgegeben vom SF-Cheflektor Wolfgang Jeschke, sind in der Regel immer ein intelligenter Lesespaß. Das gilt auch -- mit kleinen Einschränkungen -- für Das Jahr der Maus, in dem Jeschke Short Stories von Autoren aus Australien, England, der Schweiz, Tschechien, USA und Deutschland vereint. Vor allem die Schriftsteller des angloamerikanischen Sprachraums überzeugen mit temporeicher, unterhaltsamer SF, die häufig auch einen Hang zu Fantasy bzw. Mystery entwickelt.

Klarer Favorit ist Norman Spinrad mit der titelgebenden Erzählung "Das Jahr der Maus". Der Meister der sozialkritischen SF, der schon mit den beiden provokanten Romanen Champion Jack Barron und Bilder um elf vor der Macht der Medien warnte, legt eine kurze, aber bissige Satire über das US-Entertainment und den Medienmogul Disney vor, der sich anschickt, unehrenhaft die Welt zu erobern.

David Garnett dagegen bittet: "Lesen Sie weiter". Wer's tut, erlebt eine schräge Fantasy-Klamotte mit überraschendem Finale -- und nebenbei eine kleine Lehrstunde für alle Nachwuchsautoren, die sich immer wieder darüber aufregen, dass Lektoren zu sehr im Manuskript herumpfuschen. "Der Doppelgänger-Effekt" vom australischen Autor Dirk Strasser erzählt, was passieren kann, wenn die Zeitraumachsen zweier Paralleluniversen sich kreuzen. Strassers Held, der raumfahrende Journalist Christain, scheint anfangs den Verstand zu verlieren, sowohl in diesem als auch dem anderen Kontinuum, bis er merkt, welche Vorteile es hat, zweifach zu existieren...

Greg Egan, der schon in seinem hochdotierten Roman Qual auf Wahrheitssuche ging, wandelt mit der Story "Der Planck-Sprung" abermals auf Hawkings Spuren, während Stephen Baxter mit "George und der Komet" auf amüsante Weise die Geschichte von Adam und Eva mit der Evolutionstheorie vermengt. Robert Silverberg erzählt von den "Heißen Tagen in Magma City" in einer nicht fernen Zukunft, in der L.A. täglich unter Vulkanausbrüchen erbebt. Für eine Schar ehemaliger Drogenabhängiger, ehemaliger Obdachloser, ehemaliger Straßenräuber, ehemaliger Huren -- lauter Ehemaliger -- wird es zur neuen Lebensaufgabe, L.A. vor den Magma-Massen zu beschützen.

Schade ist bei dieser durchweg unterhaltsamen Vielfalt, dass ausgerechnet die deutschen Autoren wie Marcus Hammerschmitt ("Die Helfer"), Michael K. Iwoleit ("Globaler Infekt") und Rainer Erler ("Ein Plädoyer") in dem Bemühen, ihren SF-Erzählungen Tiefgang zu verpassen, angestrengt moralisierend wirken und die unterhaltsame Rasanz ihrer Kollegen aus dem angloamerikanischen Sprachraum vermissen lassen. Aber das scheint ja manchmal sowieso ein grundsätzliches Problem deutscher SF zu sein. --Marcel Feige