Deutsche Erinnerungsorte (vollständig in 3 Bänden). - Erstausgabe

Vergangenheit lebt durch die Erinnerung und stirbt durch das Vergessen. Genauso sicher, wie es dabei verschiedene Wege des Erinnerns gibt, existiert in allen Gesellschaften die Gefahr, Vergangenheit selektiv zu verformen, zu instrumentalisieren und damit Erinnerungspolitik zu betreiben. Gerade die Geschichte der Deutschen ist hierfür ein lehrreiches Beispiel. Viele Beiträge der dreibändigen Gesamtausgabe behandeln dieses Problem oder streifen es zumindest.

Der Weg, den die beiden Herausgeber Etienne François und Hagen Schulze gehen, ist -- zumindest für Deutschland -- so neu wie gelungen: keine geschlossene, chronologisch aufgebaute oder lineare Untersuchung vorzulegen, sondern eine Topografie jener materiellen oder immateriellen "Orte", die "langlebige, Generationen überdauernde Kristallisationspunkte kollektiver Erinnerung und Identität" des deutschen Volkes darstellen. Die Auswahlkriterien der Herausgeber überzeugen: So wurde zum einen der Schwerpunkt auf das 19. und 20. Jahrhundert gelegt, zum anderen die Perspektive des europäischen Auslands mit einbezogen sowie großer Wert darauf gelegt, die "Orte" multiperspektivisch auszuleuchten. Dies sind die Gründe dafür, weshalb sich unter den Autoren neben Deutschen auch Franzosen, Polen oder Österreicher und weshalb neben Historikern auch Soziologen, Kunsthistoriker oder Germanisten zu finden sind. Das wirkt ungemein belebend und macht Geschichte auch für den bisher nicht so interessierten Laien spannend.

Die Bände versammeln Abhandlungen zu so unterschiedlichen Themen wie "Wien, Heldenplatz" des Salzburger Historikers Ernst Hanisch, "Deutscher Wald" von Albrecht Lehmann oder unter dem Stichwort "Heimat" eine gelehrte Betrachtung zum Phänomen "Neuschwanstein" von Catharina Clemens. Diese verdeutlicht im Übrigen -- wie auch der Artikel über Heidelberg --, wie weit die Vermarktung von Erinnerungsorten und damit auch ihre "Internationalisierung" inzwischen vorangeschritten sind.

Den Konjunkturverlauf von Begriffen demonstriert die Geschichtsprofessorin Ute Frevert in ihrem Artikel "Pflicht". Ehemals hoch dekoriert im wilheminischen Deutschland, zwischen 1933 und 1945 durch die kompromisslose Ausrichtung am "Führerwillen" pervertiert, wurde "Pflichterfüllung" mit Oskar Lafontaines Qualifizierung als "Sekundärtugend" 1982 wohl "öffentlichkeitswirksam beerdigt". Dabei gab es aber auch durchaus Kontinuitäten: War die Pflichterfüllung nach außen (Wehrpflicht/Landesverteidigung) immer als besonders wichtig eingestuft worden, so erfreute sich die Steuerpflicht zu keiner Zeit großer Beliebtheit.

Bleibt als Fazit festzuhalten: Die Konzeption des Werkes ist überaus stimmig und innovativ, die Qualität der Beiträge sehr hoch, allesamt sind sie zudem leicht verständlich geschrieben, der wissenschaftliche Ballast bleibt auf ein Mindestmaß begrenzt. Die selbst gesetzte Aufgabe der Herausgeber, "Schneisen in den Erinnerungsdschungel zu schlagen und einige Orientierungspunkte zu hinterlassen", ist auf jeden Fall mehr als erfüllt. --Dr. Manfred Schwarzmeier