Mord und andere Kleinigkeiten: Ungewöhnliche Kriminalfälle aus sechs Jahrhunderten - Taschenbuch

In Mord und andere Kleinigkeiten berichten 20 Historikerinnen und Historiker von mehr oder weniger ungewöhnlichen Kriminalfällen, auf die sie im Zuge ihrer Forschung aufmerksam geworden sind. Da wird eine unbescholtene englische Witwe heimtückisch von ihrem bretonischen Untermieter ermordet, ein französischer Baron missbraucht und verstümmelt kleine Buben, ein verarmter Peitschenmacher tötet aus Verzweiflung seine gesamte Familie und sich selbst -- die Geschichten, von denen hier berichtet wird, wiederholen sich so und ähnlich allabendlich in den explosiven Boulevardmagazinen des Privatfernsehens.

Das Interessante an den historischen Kriminalfällen ist denn auch weniger, was genau sich wann und warum abgespielt hat. Der zentrale Fokus des Buches liegt vielmehr auf der Frage, wie sich das gesellschaftliche Empfinden für Kriminalität im Lauf der Jahrhunderte verändert. Wie reagierte die englische Öffentlichkeit des 19. Jahrhunderts auf das Familiendrama mit tödlichem Ausgang? Galt Pädophilie im Frankreich des 15. Jahrhunderts nicht als krankhaft und strafwürdig? Warum wurde der Mord an der Prostituierten Rosemarie Nitribitt in den 50er-Jahren zum Dauerbrenner der Presseberichterstattung? Was als tolerables Verhalten gilt und wo die Grenze zum Verbrechen überschritten wird, ist -- so die Grundthese des Buches -- eine Frage gesellschaftlicher Konvention: Kriminalität ist ein soziales Konstrukt und daher verrät der Umgang einer Gesellschaft mit den Verbrechen ihrer Zeit viel über die vorherrschenden Normen, Wert- und Moralvorstellungen.

Wer also vor allem Blut fließen sehen oder einem kauzigen Kommissar bei der Überführung des Täters assistieren möchte, wird angesichts des zwar dezenten, aber doch vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisinteresses nicht ganz auf seine Kosten kommen. Für all diejenigen, die sich neben Krimis auch noch für Geschichte und Gesellschaft interessieren, kann dieses Buch als wunderbar lehrreicher und zugleich unterhaltsamer Schmöker empfohlen werden. --Anneke Hudalla